Apologetik

Diakon Georgij Maximow: Polemik des heiligen Gorazd von Tschechien gegen den Katholizismus

Über den heiligen Gorazd

Der Märtyrerbischof Gorazd (mit Nachnamen Pavlik), der von 1879-1942 lebte, ist der bedeutendste Heilige der Orthodoxen Kirche der Tschechischen Länder und der Slowakei, der im 20. Jahrhundert gelebt hat. Er wurde in einer katholischen Familie geboren, erhielt eine katholische Ausbildung und diente achtzehn Jahre lang als katholischer Priester. Dann konvertierte er zur Orthodoxie und wurde zum Bischof der Tschechischen Diözese der Serbisch-orthodoxen Kirche geweiht. Der heilige Gorazd wurde zu einem glühenden Missionar, der die Orthodoxie im Tschechischen und Slowakischen Volk wiederbelebt hat. Im Jahre 1942 starb er den Märtyrertod durch die deutschen Besatzer.
Es ist nicht verwunderlich, dass der heilige Gorazd als Prediger in einem mehrheitlich katholischen Land die Unterschiede zwischen der Orthodoxie und dem römischen Katholizismus nicht unbeachtet lassen konnte. Der Betrachtung dieser Unterschiede widmet er großen Raum in seinen Hauptwerken „Das Leben der heiligen Cyrill und Method“ und im „Orthodoxen Katechismus“.
In der Lebensbeschreibung der heiligen Cyrill und Methodius legt der Märtyrerbischof dar, dass „das Schisma zwischen Ost und West nicht Sache eines Monates oder eines Jahres war; seine Ursachen hatten sich über Jahrhunderte hinweg angehäuft“. Der Hauptgrund, so der Heilige, war die irrige Lehre über die Kirche. Auf diesen Punkt weist er zuerst im „Leben“ hin, und er schenkt ihm besondere Aufmerksamkeit in seinem „Orthodoxen Katechismus“. Der Bischof zeigt sich darin eines Sinnes mit anderen heiligen Vätern, die die Meinung vertraten, dass der wichtigste Irrtum der römischen Kirche seiner Wirkung nach das „hochmütige Streben nach der Vorherrschaft der Bischöfe von Rom über die anderen östlichen Patriarchen“ war (hl. Amwrosij von Optina)[1], ihr „Anspruch auf die Oberhoheit und eigenmächtige Leitung der gesamten Weltkirche“ (hl. gerechter Johannes v. Kronstadt)[2] aus dem Grund heraus, dass der Papst in der Kirche „nicht der Erste unter Brüdern […]., sondern der Herr über Knechte sein wollte“[3].
Den heiligen Vätern zufolge weist der Katholizismus mit dieser seiner Lehre „dem Papst die Eigenschaften Christi zu und lehnt damit Christus ab (hl. Ignatij Brjantschaninow)“[4]. Denn „indem die Katholiken, den Papst als Haupt der Kirche anerkannt haben, […], haben sie Christus in den Hintergrund geschoben. Den Papst haben sie zum Stellvertreter Christi gemacht, während doch Christus bei uns bleibt „alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20). Als sie dem Papst zuerkannten, Haupt der Kirche zu sein, haben sie das wahre Haupt der Kirche – Christus – verloren und sind ohne Haupt geblieben […]. ,,Erleuchte, bring zur Vernunft und rette sie, o Herr!“[5].
Beim hl. Gorazd finden wir keine so strengen Worte, dafür aber eine recht gründliche kritische Betrachtung der Hauptunterschiede zwischen römischem Katholizismus und Orthodoxie – der Lehre vom Papst und, in geringerem Maße, der Lehre über das filioque. Das Vermächtnis des heiligen Bischofs zu untersuchen, kann zum Verständnis der orthodoxen Sichtweise dieser Unterschiede nützlich sein.

Über den Primat in der Kirche und den Primat des römischen Papstes

Machen wir uns zuerst einmal damit vertraut, wie der jetzige Katechismus der Römisch-katholischen Kirche über die Stellung des Papstes lehrt:
„Die einzige Kirche Christi … zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen … Diese Kirche … ist verwirklicht in [subsistit in] der katholischen Kirche, die vom Nachfolger des Petrus und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird“ (Nr. 816).
„Als Christus die Zwölf bestellte, „setzte er [sie] nach Art eines Kollegiums oder eines beständigen Zusammenschlusses ein, an dessen Spitze er den aus ihrer Mitte erwählten Petrus stellte … Der Römische Bischof [ist] der Nachfolger des Petrus …“ (Nr. 880).
„Der Herr hat den hl. Petrus zum sichtbaren Fundament seiner Kirche gemacht und ihm die Schlüssel der Kirche übergeben Der Bischof der Kirche von Rom, der Nachfolger des hl. Petrus, ist Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden (Nr. 936). Der Papst, der Bischof von Rom und Nachfolger des hl. Petrus, ist das immerwährende und sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit sowohl von Bischöfen als auch von Gläubigen. Der Römische Bischof hat kraft seines Amtes, nämlich des Stellvertreters Christi und des Hirten der ganzen Kirche, die volle, höchste und allgemeine Vollmacht über die Kirche, die er immer frei ausüben kann. Das Kollegium … der Bischöfe hat aber nur Autorität, wenn es zusammen mit dem Römischen Bischof … als seinem Haupt verstanden wird“ (Nr. 882-883).
„Kraft seines Amtes erfreut sich der Römische Bischof, das Haupt des Kollegiums der Bischöfe, der Unfehlbarkeit, wenn er als oberster Hirt und Lehrer aller Christgläubigen, der seine Brüder im Glauben stärkt, eine Lehre über den Glauben oder die Sitten in einem endgültigen Akt verkündet … Diese Unfehlbarkeit reicht so weit wie die Hinterlassenschaft der göttlichen Offenbarung“ (Nr. 891).

In Bezug auf diese neuen römischen Dogmen schreibt der heilige Gorazd in seinem „Leben der heiligen Cyrill und Method“, dass „im Osten der Widerstand gegen die immer nachdrücklicheren Bemühungen des Römischen Stuhls wuchs, den Papst als obersten Gesetzgeber, Lehrer und Richter der gesamten christlichen Kirche anzuerkennen, oder – wie es später formuliert wurde – als höchstes sichtbares Haupt der Christen. Gleichzeitig erkannte die Ostkirche nur Jesus Christus als Haupt der Kirche an und lehnte die Idee, einen Menschen als Haupt anzuerkennen, ab …, weil sie darin die Folge eines mangelnden Glaubens an das unsichtbare Haupt Jesus Christus und seine lebendige Leitung des Leibes der universalen Kirche erblickte … Ebenso war diese Idee für sie unvereinbar mit dem apostolischen Prinzip der konziliaren Entscheidung über kirchliche Fragen, wie dies in seiner höchsten Form auf den Ökumenischen Konzilien zum Ausdruck kam[6]“.
Im „Orthodoxen Katechismus“ widmet der hl. Gorazd diesem Thema die Fragen 343 bis 388. Der Abschnitt beginnt mit der Frage: „Kann ein Mensch das Haupt der Kirche Christi sein?“, worauf der hl. Gorazd antwortet: Ein Mensch kann nicht das Haupt der Kirche Christi sein, denn Christus ist der Gottmensch, und seine Kirche ist der Leib des Gottmenschen, daher kann ihr Haupt kein gewöhnlicher Mensch sein“[7]. Im Folgenden spricht er noch deutlicher: „Die Lehre von der Oberhoheit des Bischofs der Stadt Rom über die ganze christliche Kirche kann nicht anerkannt werden, da der Herr Jesus Christus niemals jemanden als sichtbares Haupt der Kirche eingesetzt hat… Die Lehre von der unausweichlichen Notwendigkeit eines höchsten sichtbaren Hauptes der ganzen Kirche Christi entstand aufgrund des großen Niedergangs des Glaubens an das unsichtbare Haupt der Kirche, d.h. an den Herrn Jesus Christus, und an seine Gegenwart und sein Einwirken auf die Kirche, aber auch aufgrund der schwindenden Liebe zu ihm“ (S. 88).
Im nächsten Punkt setzt der Märtyrerbischof an, die traditionelle katholische Begründung des päpstlichen Primats zu analysieren. Diese Begründung verweist zum einen auf den Apostel Petrus als Haupt der übrigen Apostel und als Haupt der Kirche, zum anderen auf den ersten Bischof von Rom, dessen Bischofssitz, Ort und Würde die nachfolgenden Päpste angeblich erben sollen. Der heilige Gorazd schreibt: „Der Herr hat keinen der Apostel zum Anführer der anderen Apostel eingesetzt; im Gegenteil, er warnte sie davor, dass sich einer von ihnen Lehrer oder Anführer der anderen Apostel nenne, da nur einer ihr Lehrer ist – Christus, sie aber nur Brüder untereinander (vgl. Mt 23,8-10)“(S. 77).
Anschließend untersucht er ausführlich drei Zitate aus den Evangelien, auf die die Katholiken gewöhnlich verweisen, um ihre Lehre über den Papst zu untermauern.

Das erste Zitat sind die Worte Christi, die er an den Apostel richtete, nachdem er ihn als Sohn des lebendigen Gottes bekannt hatte: „Selig bist du, Simon, Sohn des Jona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf der Erde binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf der Erde lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 16,17-19).
Zu diesem Zitat bemerkt der heilige Gorazd, dass die Katholiken es so erklären, dass „der Herr Jesus Christus den Apostel Simon Petrus genannt habe, d.h. Felsen, und dass er auf diesem Felsen, d.h. auf dem Apostel Petrus, seine Kirche gegründet habe… [Doch] die Lehre, dass der Herr die Kirche auf dem Apostel Petrus gegründet hat, ist falsch, denn:
1. der Herr Jesus Christus nannte den Apostel Simon deswegen Petrus, weil er auf seine Frage, für wen ihn die Apostel halten, geantwortet hat: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ und damit einen felsenfesten Glauben an die Gottheit des Herrn Jesus zum Ausdruck gebracht hat. Das Wort „Petrus“ hat in diesem Zusammenhang die Bedeutung eines Menschen, den ein unerschütterlicher Glauben auszeichnet.
2. unter dem Felsen, auf dem die Kirche Christi gegründet werden sollte, wurde nicht die Person des Petrus verstanden, sondern sein Glaube, dass der Herr Jesus Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist. [Dass] der Herr Jesus unter dem Stein, auf den er seine Kirche bauen wollte, nicht den Apostel Petrus verstanden hatte, sondern den Glauben an seine Göttlichkeit,
wissen wir aus der Heiligen Schrift und aus der Heiligen mündlichen Überlieferung.
Über die Gründung der Kirche wird im 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther gesprochen, und zwar in dem Sinne, dass „niemand einen anderen Grund zu legen vermag als den, der gelegt ist, und das ist Jesus Christus“ (1 Kor 3,11). Der Apostel Paulus betonte insbesondere die Tatsache, dass der Herr Jesus Christus das Fundament der Kirche ist, denn die Kirche in Korinth begann sich damals in die Anhängerschaft von Paulus, Petrus und Apollos zu spalten, und der heilige Paulus wies darauf hin, dass weder er selbst, noch der Apostel Petrus, noch Apollos, der vom heiligen Paulus zum Bischof von Korinth eingesetzt worden war, das Fundament der Kirche sind, sondern allein der Herr Jesus Christus und der Glaube an seine Göttlichkeit (s. 1 Kor 3,3-11)“ (S. 78-79).
Und aus der Heiligen Überlieferung führt der heilige Gorazd drei Zitate der heiligen Väter an: des seligen Augustinus, des heiligen Johannes Chrysostomus und des heiligen Ambrosius von Mailand, die sagten, dass die Worte des Evangeliums vom „Felsen“, auf den die Kirche gebaut ist, als der Glauben verstanden werden muss, den der Apostel Petrus bekannt hat. In seinen Anmerkungen schreibt Märtyrerbischof Gorazd auch: „Das Fundament einer jeden Gesellschaft, auch einer rein menschlichen, kann nie ein Mensch sein, sondern sie muss auf einer bestimmten Idee begründet werden; umso weniger kann die christliche Kirche auf einen Menschen gegründet sein, selbst wenn dieser Mensch ein Apostel wäre – im Gegenteil, sie konnte und musste auf der Hauptidee des christlichen Glaubensbekenntnisses gegründet werden, nämlich auf dem Glauben, dass Jesus Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist“ (S. 91).
Im Weiteren geht der heilige Bischof Gorazd zur eigentlichen Erörterung des besagten katholischen Arguments über und merkt an, dass „der Herr Jesus Christus seine Kirche aus folgenden Gründen nicht auf der Person des Apostels Petrus errichten konnte:
1. Die Kirche kann nicht auf irgendeinem Menschen gebaut werden, denn Menschen können irren, selbst wenn sie heilig sind.
2. Der Herr sprach kurz nach seinen Worten über die Errichtung der Kirche auf dem Felsen zu Petrus: „Hinweg von mir, Satan! Ein Ärgernis bist du für mich“ (Mt 16,23).
3. Der Apostel Petrus verleugnete den Herrn Jesus Christus dreimal “ (S. 80).
Die Worte im selbigen Zitat darüber, dass dem Apostel Petrus die „Schlüssel des Himmelreiches“ gegeben werden, erklärt der heilige Gorazd als Ermächtigung „zu binden und zu lösen“, d.h. Sünden nachzulassen oder zu behalten, und erinnert uns daran, dass der Herr diese Macht „nicht nur dem Petrus, sondern allen Aposteln gab, indem er zu ihnen sagte: „Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf der Erde binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf der Erde lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 18,18; s. auch: Jo 20,22-23) (S. 80).
Das zweite Zitat, das von den Katholiken in der Regel angeführt wird, um die Lehre über den Papst zu rechtfertigen, ist das Wort des Herrn an Petrus: „Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wankt. Und wenn du dich bekehrt hast, stärke deine Brüder“ (Lk 22,32).
Bezüglich dieser Worte merkt der heilige Gorazd an, dass sie zusammen mit der Vorhersage der dreifachen Verleugnung des Apostels Petrus gesprochen worden waren und dass „der Herr Jesus mit diesen Worten den Petrus nicht als Haupt aller Apostel und der ganzen Kirche eingesetzt habe, sondern damit sagen wollte, dass Petrus, nachdem er ihn verleugnet hatte, seinen Glauben im Gegensatz zu Judas nicht verlieren, sondern sich bekehren und durch seine Bekehrung die anderen im Glauben stärken würde“ (S. 81). Des Weiteren führt er ähnliche Beispiele an, als bekehrte Sünder andere im Glauben gestärkt haben: die Samariterin und den Apostel Paulus. Der Märtyrerbischof zeigt auf, dass es unmöglich ist, diese Worte so zu interpretieren, als ob Christus die Absicht gehabt hätte, den Apostel Petrus zum Führer der ganzen Kirche zu machen. Denn seine Nächsten im Glauben stärken kann jeder, der sich aufrichtig zu Gott bekehrt hat, unabhängig davon, ob er Lehrer, Untergebener oder ihnen gleichgestellt ist.
Das dritte Zitat ist das Wort, das Christus nach der Auferstehung an den Apostel Petrus richtete: „Weide meine Lämmer“ und „weide meine Schafe“ (Jo 21, 15.17).
Der heilige Gorazd lenkt seine Aufmerksamkeit auf den Kontext der Rede, aus der diese Worte stammen. Sie werden von der Frage eingeleitet: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?“, die der Herr dem Apostel dreimal stellte, „weil er wollte, dass Petrus nach seiner dreimaligen öffentlichen Verleugnung seine Umkehr durch ein dreimaliges öffentliches Bekenntnis der Liebe zeigt… Die Worte des Herrn Jesus Christus, Petrus solle seine Lämmer und Schafe weiden, können nur so verstanden werden, dass Petrus infolge der dreimaligen Verleugnung seines Meisters des Apostelranges unwürdig geworden war. Doch nach dem dreimaligen Bekenntnis seiner Liebe tat der Herr kund, dass er den Petrus im Dienst eines Apostels belässt. Mit diesen Worten des Herrn kann keinesfalls eine Führungsrolle des Petrus über die anderen Apostel und über die ganze Kirche bewiesen werden, denn die Hirten der geistlichen Lämmer und Schafe Christi waren alle ohne Unterschied Apostel“ (S. 82).
Nach Abschluss seiner Erforschung der zitierten Schriftstellen schreibt der Heilige, dass „der Apostel Petrus sich selbst nicht für das Haupt der anderen Apostel hielt, da er sich in seinem ersten Brief nur als Mitältesten bzw. Mithirten[8] bezeichnete. Den Herrn Jesus Christus nennt er hingegen obersten Hirten, d.h. Haupt der Hirten (s. 1 Petr 5,1-4). Auch „die übrigen Apostel und die ersten Christen sahen den Apostel Petrus nicht als Haupt der ganzen Kirche Christi an, denn aus den Schriften wissen wir, dass:
1. die Apostel Petrus und Johannes nach Samaria sandten (s. Apg 8,14);
2. die Christen aus Jerusalem Petrus dafür tadelten, dass er in Cäsarea den heidnischen Hauptmann Kornelius getauft hatte, und er sich dafür rechtfertigen musste (s. Apg 11,1-4);
3. dass der Apostel Paulus dem Apostel Petrus in der Stadt Antiochia entschieden entgegentrat und ihm vorwarf, unrecht gehandelt zu haben (s. Gal 2,11-13). Die Apostel und die ersten Christen hätten sich gegenüber Apostel Petrus nicht so verhalten können, wenn sie ihn für das Haupt der der ganzen Kirche gehalten hätten“ (S. 83).
Der heilige Gorazd beweist, dass „nach der Himmelfahrt des Herrn Jesus Christus einzelne Apostel der Führung des gesamten Apostelrates unterstanden. [Das lässt sich daraus ersehen, dass]:
1. Petrus und Johannes gehorchten, als sie vom Rat der Apostel nach Samaria geschickt wurden;
2. dass sich keiner der Apostel alleine – Petrus miteingeschlossen – für berechtigt hielt, in gesamtkirchlichen Fragen abschließend zu entscheiden. Dies war dem Rat aller Apostel vorbehalten…
Die Apostelgeschichte berichtet von folgenden wichtigen Versammlungen des Apostelkollegiums:
1. als die Wahl eines neuen Apostels anstand, der den Verräter Judas ersetzen sollte (s. Apg 1,15-26);
2. als der Heilige Geist auf die Apostel herabkam (s. Apg 2,1-4);
3. als Diakone oder Helfer der Apostel eingesetzt werden sollten (s. Apg 6:1-6);
4. als die Entscheidung darüber getroffen werden sollte, auf welche Weise Heiden, die zum Glauben an Christus gekommen waren, in die Kirche aufzunehmen sind (s. Apg 15,1–35)“ (S. 84).
Der heilige Gorazd räumt ein, dass der Apostel Petrus im Apostelkollegium Ansehen genoss, wie auch einige andere Apostel – Jakobus, Johannes und später Paulus, aber „ein besonderes Ansehen dieser vier Apostel gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass sie die Führer der anderen Apostel waren“.
Zur eigentlichen Frage nach dem päpstlichen Primat übergehend schreibt der Heilige, dass „die Lehre von der Vorrangstellung des Apostels Petrus über die ganze Kirche“ zur Begründung der Lehre geschaffen worden war, der Bischof der Stadt Rom sei als das Haupt der ganzen Kirche anerkannt gewesen“. Zu diesem Zweck „wird ferner behauptet, dass der Apostel Petrus der erste Bischof von Rom gewesen sei und die späteren Römischen Bischöfe als seine Nachfolger die Vorrangstellung über die ganze Kirche erben“ (S. 85).
Aufgrund der Tatsache, dass der Apostel Petrus in Rom gestorben ist, sagt der heilige Gorazd, darf man nicht behaupten, dass er auch der erste Bischof der Stadt Rom war; denn der Apostel Paulus, der in Rom den Märtyrertod erlitt, war nicht Römischer Bischof… [Und überhaupt] hatten die Apostel keinen ständigen Aufenthaltsort, sondern reisten in der Welt, um die christliche Lehre zu verkündigen. An Orten, an denen sich größere Gruppen von Christen bildeten, weihten die Apostel Bischöfe und setzten sie ein, bevor sie mit der Predigt des Evangeliums an andere Orte zogen… Die Tätigkeit des Apostels Petrus erstreckte sich auf Jerusalem, Samarien (s. Apg 8,14), Lydda (s. Apg 9,32), Joppe (s. Apg 9,43), Cäsarea (s. Apg 10,24), Antiochia (s. Gal 2,11) und Babylon (s. 1 Petr 5,13)“ (S. 86). Dabei lässt der heilige Bischof Gorazd die Interpretation nicht zu, der Apostel Petrus habe mit dem Namen Babylon [die Stadt] Rom gemeint. Er fügt außerdem hinzu, dass Apostel Petrus der mündlichen Überlieferung nach auch an der Südküste des Schwarzen Meeres gepredigt hat, in Alexandria und in Rom.
Er fährt fort: „Es gibt keinen Grund, den Bischof von Rom als den einzigen Nachfolger des Apostels Petrus zu betrachten, denn auch die Bischöfe, die vom Apostel Petrus an anderen Orten eingesetzt wurden, sind seine Nachfolger, und deshalb könnten sie alle mit gleichem Recht für sich beanspruchen, Haupt der ganzen Kirche zu sein… In den ältesten Bischofslisten der Stadt Rom findet sich Linus als erster Bischof, nicht der Apostel Petrus. Erst in späteren Listen erscheint der Name des Apostels Petrus vor dem des Linus“ (S. 87).
In den Anmerkungen zu diesem Abschnitt seines Katechismus führt der hl. Gorazd noch ein weiteres Argument an: „Der Herr Jesus Christus hat den Aposteln Namen gegeben, die von ihren persönlichen Taten zeugen. Dies galt jedoch nur für sie persönlich und war keineswegs eine Art von Erbe, das mit einem bestimmten Bischofssitz hätte verbunden werden können und auf alle Bischöfe übergehen würde, die diesen Sitz einmal einnehmen. Wie dem Apostel Simon für den Glauben, den er mit besonderer Kraft vertrat, der Name Petrus gegeben wurde, so gab der Herr den Aposteln Jakobus und Johannes aufgrund ihres Eifers und ihrer Hingabe den Namen „Donnersöhne“ (vgl. Mk 3,16-17). Nun wird behauptet, dass die Eigenschaft des Apostels Simon, um derentwillen er Petrus genannt wurde, von allen geerbt wird, die als seine Nachfolger angesehen werden. Ebenso könnte man mit Recht behaupten, dass der Eifer der Apostel Jakobus und Johannes auf alle Bischöfe übergeht, die ihre Nachfolger sind. Ein so einfaches und mechanisches Verständnis einer Wechselbeziehung zwischen den Aposteln und ihren Nachfolgern widerspricht dem Geist des christlichen Glaubens.
Der Herr Jesus Christus hat sehr deutlich gemacht, dass der Streit darüber, ob man in Jerusalem oder auf dem Berg Garizim anbeten solle, unangebracht ist… denn Gott ist Geist und ist nicht ausschließlich an einen bestimmten Ort gebunden, so dass man nur an diesem Ort anbeten könne (vgl. Jo 4,20-24). Wer behauptet, das Schicksal der Kirche Gottes sei an einen bestimmten bischöflichen Stuhl gebunden, der vertritt eine noch unstatthaftere Meinung von Gott; denn zwischen Jerusalem und dem Berg Garizim bestand vom religiösen Standpunkt aus gesehen doch ein gewisser Unterschied, während es aus kirchenrechtlicher Sicht innerhalb der Kirche keinerlei Unterschied zwischen den Bischofssitzen gibt“ (S. 91).
Im Anschluss kommentiert Märtyrerbischof Gorazd das Unfehlbarkeitsdogma des Römischen Papstes: „Unmöglich kann ein einzelner Christ – selbst dann, wenn er Bischof ist – in Angelegenheiten des Glaubens und der Moral unfehlbar sein, denn der Herr Jesus Christus hat nicht einem Glied der Kirche, auch nicht einem Apostel, die Gabe der Unfehlbarkeit verliehen, um es nicht in die schreckliche Versuchung des Stolzes, der Hybris und des Hochmuts zu führen; und außerdem gab es unter den Bischöfen, obwohl sie Nachfolger der Apostel waren, einige, die die Kirche hatte verurteilen müssen. Auch einige der Bischöfe von Rom wurden verurteilt, wie Honorius (625-638), der die Irrlehre vertrat, Christus habe keinen menschlichen Willen gehabt… Andere schwankten zwischen Wahrheit und Irrlehre, wie z.B. Liberius, der eine Zeit lang mit Arius einer Meinung war, oder Vigilius (538-555), der vorübergehend der Irrlehre anhing, der Herr Jesus Christus besäße keine volle menschliche Natur“ (S. 92).
Bischof Gorazd weist noch auf andere Unstimmigkeiten hin, die sich aus der Lehre ergeben, dass die Bischöfe von Rom angeblich vom Apostel Petrus die Leitung der Kirche als Erbe erhielten. So starb Apostel Petrus viel früher als Apostel Johannes. Ist es denkbar, dass der Apostel Johannes dem römischen Bischof Linus und seinen Nachfolgern Anaklet, Clemens und Evaristus untergeben war? Eine solche Annahme wäre absurd. Der heilige Gorazd erinnert auch daran, dass einige Römische Päpste offenkundig ein ausschweifendes Leben führten, und dass es zu manchen Zeiten mehrere römische Päpste gleichzeitig gab, die sich gegenseitig nicht anerkannten. „Darüber hinaus kommt es jedes Mal zu Widersprüchen, wenn ein Bischof von Rom stirbt, denn bis zur Wahl eines neuen Bischofs wäre die Kirche ohne höchstes sichtbares Haupt“ (S. 93).
Ergänzend zitieren wir hier diesbezüglich aus dem Werk eines slowakischen orthodoxen Theologen, des Erzpriesters Imrich Beleikanitsch, einer Analyse des gegenwärtigen katholischen Katechismus. Zur Aussage in den Absätzen 763-767 – „der Gründer der Kirche ist Christus… Sie wird von den zwölf Aposteln angeführt, an deren Spitze Petrus steht. Er ist das Haupt der Apostel“ – merkt Erzpriester Imrich an: „Die Katholiken verweisen hierbei auf den biblischen Text Mk 3,14-15, der nichts über die Vorrangstellung des Petrus vor den übrigen Aposteln aussagt… Die Kirche ist der Leib Christi und Christus ist das Haupt dieses Leibes. Eine solche ekklesiologische Sicht lässt sich nur schwer mit dem hartnäckigen Bestreben vereinbaren, den Apostel Petrus und dann auch seinen Nachfolger in einer Führungsrolle gegenüber den anderen Aposteln zu sehen. Christus als Haupt braucht keinen Stellvertreter“[9].
Die Punkte Nr. 816-819 des Katholischen Katechismus handeln davon, dass „der Papst von Rom als Nachfolger des Apostels Petrus sozusagen der Garant für die Einheit der Kirche Christi ist, was aber nicht durch das Zeugnis der Heiligen Schrift oder die alte christliche Überlieferung bestätigt werden kann. Nirgends trifft man in den Schriften der heiligen Väter die Behauptung, die Einheit der Kirche sei durch die Person des Apostels Petrus gesichert… Die Römischen Päpste selbst sind nicht gegen das Böse gefeit, was uns verschiedene Wechselfälle im Leben einzelner Päpste bestätigen. Viele Päpste haben sich in ihrem Tun weit vom apostolischen Dienst des Apostels Petrus entfernt. Das Werk des Petrus war immer ein Dienst der Liebe und der Demut, nicht der Autorität und der Macht. Das Apostelamt ist nicht das Recht auf Macht über alle anderen Menschen, sondern der Dienst an ihnen in Liebe und Demut. Nicht der „Nachfolger des Petrus“ ist das Unterpfand für die Einheit der Kirche Christi, sondern Christus und der Heilige Geist“ (S. 74).
Der Katholische Katechismus versucht des Weiteren zu beweisen, dass der Primat des Papstes in der frühen Kirche anerkannt wurde: „Die Teilkirchen sind im Vollsinn katholisch durch die Gemeinschaft […] mit der Kirche von Rom, ‚die den Vorsitz in der Liebe führt‘[10]. ‚Mit dieser Kirche nämlich muss wegen ihres besonderen Vorranges notwendig jede Kirche übereinstimmen, das heißt die Gläubigen von überall‘[11] (Nr. 834).
Zu diesem Punkt schreibt Vater Imrich: „Die Behauptung erscheint paradox, dass die volle Zugehörigkeit einer einzelnen Kirche zur Gesamtkirche von der Gemeinschaft mit der Römischen Kirche‚ die in der Liebe vorsteht‘, abhängen soll“. Hier wird eine Aussage des hl. Ignatius von Antiochien verwendet, sowie des hl. Irenäus von Lyon, der schrieb: „Mit dieser Kirche nämlich muss wegen ihres besonderen Vorranges notwendig jede Kirche übereinstimmen, das heißt die Gläubigen von überall“. Diese Worte sind aus dem Zusammenhang gerissen, so dass es scheint, sie verteidigten das Dogma und den Primat des Papstes gegenüber den übrigen Ortskirchen. Doch in Wirklichkeit ist das nicht der Fall“. Vater Imrich gibt dieses Zitat umfassender wieder: „Es ist unerlässlich, dass mit dieser Kirche jede andere übereinstimmt, d.h. die Gläubigen überall, da in ihr die apostolische Überlieferung von den Gläubigen immer bewahrt worden ist“ (S. 76). Und er merkt weiter an, dass „die Römische Ortskirche in der Zeit der heiligen Ignatius und Irenäus ein Vorbild für alle Ortskirchen war, weil sie die apostolische Überlieferung in Reinheit und Unversehrtheit bewahrt hatte. Eben hierin sah der heilige Irenäus ihre Bedeutung. In unserer Zeit aber nimmt die Römische Kirche insofern eine andere Haltung zur apostolischen Überlieferung ein, als sie neue Thesen auf dem Gebiet der Glaubenslehre aufgestellt hat. Der Römische Bischof war „der erste in der Liebe“. Aber was bedeutet, „der erste in der Liebe zu sein“? Sicherlich nicht eine allgemeine Weisungsbefugnis und die Unterwerfung der anderen Kirchen unter die eigene Macht (S. 77).

Über den Ausgang des Heiligen Geistes

Im katholischen Katechismus heißt es: „Die lateinische Überlieferung des Glaubensbekenntnisses bekennt, dass der Geist ‚vom Vater und vom Sohn (filioque)‘ ausgeht“. Das Konzil von Florenz (1438) stellt klar: „Das Wesen und das Sein des Heiligen Geistes geht gleichzeitig vom Vater und vom Sohn aus, und er geht ewig aus dem einen und dem anderen hervor wie aus einem einzigen Ursprung“ (P. 246).
Zu diesem Punkt weist der heilige Gorazd darauf hin, dass „der Heilige Geist seit jeher von Gott dem Vater ausgeht“ und beruft sich auf die Worte Christi: Der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht (Jo 15,26). In den Anmerkungen zu diesem Abschnitt fügt der Heilige hinzu, dass „niemand das Recht hat, die Worte des Herrn Jesus Christus zu ergänzen oder zu berichtigen. Das II. Ökumenische Konzil hat die Lehre vom Heiligen Geist eingehend erörtert und die Aussagen der heiligen mündlichen Überlieferung und der Bibel über den Heiligen Geist beachtet; deshalb blieb es bei der Lehre, dass der Heilige Geist vom Vater (und nicht vom Sohn) ausgeht. Das III. Ökumenische Konzil untersagte, das Glaubensbekenntnis zu verändern oder zu ergänzen. Trotzdem wurde in den meisten christlichen Glaubensbekenntnissen der Zusatz eingefügt, dass der Heilige Geist auch vom Sohn ausgeht. Die Orthodoxe Kirche besteht auf den Worten des Herrn Jesus Christus“ (S. 73).
Ausführlicher schreibt der Märtyrerbischof darüber im ‚Leben der heiligen Cyrill und Method‘: „Der Westen verfiel auf eine theologische Neuerung – die Lehre vom Ausgang des Heiligen Geistes vom Vater und vom Sohn, die sich nach und nach zu einem Dogma der westlichen Kirche gewandelt hat[12]. Desweiteren erinnert der heilige Gorazd daran, dass dies den Worten Christi in Jo 15,26 und dem Glaubensbekenntnis, das auf dem II. Ökumenischen Konzil festgelegt worden war, widerspricht. Die Unveränderlichkeit dieses Symbolums war vom III. und V. Ökumenischen Konzil bekräftigt worden. „Des ungeachtet begann man im Westen, theologische Spekulationen zu führen, die das Ziel hatten, diese Neuerung zu rechtfertigen. Es bedürfte einer langen Abhandlung, um die Unrichtigkeit dieser neuen Lehre aufzuzeigen“. Der heilige Gorazd sagt, dass diese Neuerung nicht durch jene Zitate aus der Heiligen Schrift gerechtfertigt werden kann, die von der Sendung des Geistes vom Vater durch den Sohn sprechen, da es sich hier um das Heils-wirken Gottes handelt, d.h. um das Wirken der Personen der Heiligen Dreieinigkeit in der Welt, während das filioque den ewigen Ausgang des Geistes als seine persönliche Eigenschaft lehrt. Der Märtyrerbischof sagt: Die östlichen Theologen schrieben, dass die Lateiner durch die Einführung dieser Lehre den Heiligen Geist aus zwei Ursprüngen hervorgehen lassen, wodurch die Einheit der Dreieinigkeit und ihre Gleichheit zerstört wird. Deshalb sahen sich die westlichen Theologen genötigt, zur These überzugehen, dass „der Heilige Geist ewig aus dem Vater und dem Sohn nicht wie aus zwei Ursprüngen, sondern wie aus einem Ursprung hervorgeht“.
Pater Imrich führt wiederum an: „Um die Begründung des filioque zu stärken, führt die römisch-katholische Theologie auch einen Text aus dem Glaubensbekenntnis „Quicumque“ (das Glaubensbekenntnis des Heiligen Athanasius) an, der in der Sache gegen das filioque ist , denn darin heißt es, dass es unmöglich ist, die Heilige Dreieinigkeit so zu bekennen, dass es zu einer Vermischung der Personen kommt. Das filioque hingegen identifiziert geradezu die Person des Vaters mit der Person des Sohnes, das heißt, es vermischt sie… Durch den Zusatz des filioque wurde das triadologische Gleichgewicht gestört, und in das trinitarische Dogma trat ein Element der Dualität ein: der Vater und der Sohn auf der einen Seite, der Heilige Geist auf der anderen[13].
Des Weiteren zeigt der hl. Gorazd knapp die Entstehungsgeschichte dieser Lehre im Westen auf, beginnend mit Spanien. Dort entstand sie ursprünglich als ein Gegengewicht zum Arianismus, und dort wurde das filioque auf dem Konzil von Toledo im Jahr 589 erstmals in das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel aufgenommen. Bischof Gorazd nennt die Einführung einer neuen Lehre und eines neuen Dogmas aufgrund der Entscheidung eines lokalen Konzils, das nicht mit der Meinung der anderen Landeskirchen rechnet, Leichtsinn und reine Willkür, denn das Lokalkonzil hat das Glaubensbekenntnis wider das Verbot des Ökumenischen Konzils erweitert. Der Märtyrerbischof weist auch darauf hin, dass diese Lehre vom hl. Mönch Johannes von Damaskus widerlegt worden war, ja selbst unter den Päpsten stieß sie auf Widerstand; insbesondere nahm sie der hl. Martin der Bekenner nicht an. Unter dem direkten Einfluss Karls des Großen verbreitete sich diese Lehre jedoch im Jahr 809 von Spanien nach Frankreich und Deutschland, ungeachtet des Widerstands des großen fränkischen Theologen Alkuin. Papst Leo III. (795-816) weigerte sich, diesen Zusatz in den Text des Glaubensbekenntnisses einzufügen. Dennoch verbreitete sich diese Lehre allmählich überall im Westen; im Jahr 1014 wurde sie von Papst Benedikt VIII. auf das Drängen von Kaiser Heinrich II. offiziell ins Glaubensbekenntnis aufgenommen – vor allem aus politischen Beweggründen, wie der heilige Bischof Gorazd meint.
Man muss sagen, dass die röm.-katholische Kirche in der Neuzeit – bereits nach dem Märtyrertod von Erzbischof Gorazd – zugegeben hat, dass es ein Fehler war, das filioque ins Glaubensbekenntnis einzufügen. In einem Interview berichtet der Erzbischof von Breslau Jeremias (Polnisch-Orthodoxe Kirche), Mitglied der orthodox-katholischen Kommission: „Bereits lange vor dem Treffen in Baltimore im Jahr 2000 war entschieden worden, dass die Aufnahme des filioque in den Text des Nicäno-Konstantinopolitanums unangebracht und nicht rechtens war. Doch fanden diese Ergebnisse der Arbeit der gemeinsamen Kommission keinen Niederschlag in der Praxis der Römisch-katholischen Kirche“[14].
Weiter führt der Erzbischof eine Tatsache an, die nach seinen Worten auf eine gewisse Anerkennung der Leistung der Kommission seitens der höchsten Autorität der römischen Kirche hindeutet. Papst Johannes Paul II. veröffentlichte nämlich 1981 ein offizielles Schreiben, in dem er das Glaubensbekenntnis ohne das filioque benützt. Dabei gab die englische und deutsche Übersetzung, wie Erzbischof Jeremias anmerkt, diesen Text genau wieder, während das filioque in der polnischen Übersetzung an der Stelle eingesetzt wurde, die die Katholiken gewohnt waren.
Es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass auf einer Videoaufzeichnung festgehalten ist, wie der nächste Papst, Benedikt XVI., offiziell das Glaubensbekenntnis mit Patriarch Bartholomäus rezitiert – ebenfalls ohne das filioque. Im Übrigen ist es durchaus denkbar, dass Katholiken ein solches Vorgehen nicht als Absage an die Lehre des filioque auffassen, sondern als Verzicht auf den Zusatz im Text des Symbolums bei gleichzeitiger Bewahrung der Lehre an sich.
Neben den Dogmen des päpstlichen Primats und des filioque erwähnt der heilige Gorazd auch andere Unterschiede zwischen Katholizismus und Orthodoxie, insbesondere den der Verwendung von ungesäuertem statt gesäuertem Brot in der Feier der Liturgie, wie es seit jeher in der Kirche gewesen war; die Kommunion der heiligen Gaben für die Laien unter einer Gestalt; die Aufstellung mehrerer Altäre in einer Kirche, die seiner Meinung nach das gemeinschaftliche Gebet zerstört hat und verschiedene Neuerungen mit sich brachte, wie die „stille Messe“ oder die mehrfache tägliche Kommunion für die Priester; die Einführung des Pflichtzölibats für Priester; die nicht [für alle Getaufte] verbindliche Salbung (Firmung) und andere.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Argumentation des heiligen Bischofs Gorazd von großer Bedeutung für all diejenigen ist, die sich für die Unterschiede zwischen Orthodoxie und Katholizismus aus orthodoxer Sicht interessieren.

Quelle: Diakon Georgij Maximow, Polemik des heiligen Gorazd von Tschechien gegen den Katholizismus. Orthodoxe Missionsgesellschaft zu Ehren des hl. Mönches Serapion von Kozheosersk, Moskau, 2013 (russisch), 28 S.

[1] Hl. Amwrosij von Optina, Antwort auf die ungerechtfertigte Verherrlichung der Papisten durch die angebliche Würde der lateinischen Kirche. An ihre Befürworter //www.pravoslavie.ru/put/nasledie/blagosklonlatin.htm

[2] Hl. Johannes von Kronstadt, Lebendige Ähre, 1 // http://www.wco.ru/biblio/books/ioannk1/Main.htm

[3] Hl. Elias Minjatij, Der Stein des Anstoßes, 2 // http://www.pagez.ru/olb/014.php

[4] Hl. Ignatij (Brjantschaninow). Der Begriff der Häresie und des Schismas //http://www.pravbeseda.ru/library/index.php?page=book&id=496

[5] Hl. Johannes von Kronstadt. Lebendige Ähre, 1

[6] Gorazd, biskup Český a Moravsko-Slezský. Život sv. Cyrila a Metoděje a jejich poměr k Římu a Cařihradu // http://www.orthodoxia.cz/ gorazd/pavlik2.htm.

[7] Märtyrerbischof Gorazd. 1168 Fragen und Antworten zum orthodoxen Glauben. Kiew, 2009. С. 77. Folgenden Zitate sind, außer in bestimmten Fällen, dieser Ausgabe entnommen, wobei die Seite in Klammern angegeben ist.

[8] Je nach Bibelübersetzung [Anm. des Übersetzers]

[9] Erzpriester Imrich Beleikanitsch. Der katholische Katechismus aus der Sicht der orthodoxen Theologie. K., 2008. S. 72–73.

[10] Ignatius v. Antiochien, Rom 1,1 (zitiert nach KKK: Katechismus der katholischen Kirche)

[11] Irenäus, kur. 3,3,2 (zitiert nach KKK)

[12] Hier und im Fortlaufenden wird aus dem 2. Kapitel des Buches des hl. Gorazd, „Das Leben der hll. Kyrill und Methodius“, zitiert.

[13] Erzpriester Imrich Beleikanitsch, Der katholische Katechismus aus der Sicht der orthodoxen Theologie, S. 26, 31.

[14] Abp. Jeremiasz (Anchimiuk). Nadzieje i obawy w dialogu prawostawno – katolickim // http://www.cerkiew.pl/index.php?id=prawoslawie&a_id=209

Kirche des heiligen Apostels Thomas

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